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Katalog 382 | Zeitgenössische Kunst

106 BALKENHOL STEPHAN 1957 FRITZLAR Kleiner Kopf. 1991. Holz, geschnitzt, farbig gefasst. 42,5 x 16 x 17cm. Signiert und datiert auf der Standfläche: Stephan Balkenhol 1991. Dem Werk liegt eine vom Künstler angefertigte Holzkonsole zur Befestigung an der Wand bei. Provenienz: Atelier des Künstlers (1990 vom jetzigen Eigentümer erworben) „Wenn ich einen ägyptischen Kopf betrachte, so kommt es mir vor, als ob ich der dargestellten, zumeist idealisierten Person auch heute begegnen könnte. Ihr Lächeln auf den Lippen erscheint mir momentan und zeitlos zugleich. Vielleicht ist es das, was ich will.“ (Stephan Balkenhol, 1990) Durch das Fehlen einer expressiven Mimik und Gestik wirken Stephan Balkenhols Standbilder bisweilen seltsam abwesend und schwer greifbar. ... Durch die weitgehende Rücknahme einer psychologisierenden Dimension sind sie immer auch ein Spiegel, der die Gefühle, Wünsche und Hoffnungen des Betrachters reflektieren kann. Eine Skulptur von Stephan Balkenhol ... bleibt bei sich. Der Betrachter wird nicht genötigt, in irgendeine private Mythologie oder idiosynkratische Vorliebe des Künstlers einzusteigen, sich zum Verständnis hypothetische Sinnhorizonte oder ausgedachte Bezugssysteme anzulesen. Wie der Künstler selbst kann der Betrachter nur genau hinsehen, bemerken, wie der Strom seiner Gedanken und Deutungen an der Unbewegtheit der Figur abprallt. Der Betrachter kann ein vorsprachliches Verhältnis zu dem Stück toten Materials, das ihm gleicht, empfinden. Er kann es als hölzernes Spiegelbild seiner eigenen Erscheinung ansehen. Stephan Balkenhol ist im wörtlichen Sinn ein Bildhauer, der seine Skulpturen nicht schnitzt, sondern mit Klöpfel und Stechbeitel aus dem Stamm heraushaut. Der Werkprozess ist sichtbar, da der Künstler die Oberflächenstruktur nicht glättet, sondern Späne und Werkzeugspuren ebenso augenfällig bleiben wie die Holzstruktur mit Ihren Astansätzen, Maserungen und Rissen. Der Werkstoff Holz wird so als lebendige Substanz wahrgenommen und entwickelt eine zusätzliche ästhetische Dimension. Das Material ist dem Motiv nicht untergeordnet, sondern ist in der haptischen Qualität seiner bearbeiteten Oberflächenstruktur ebenso Thema. Den Werkstoff Holz wählt Balkenhol, da das Material seiner Arbeitsgeschwindigkeit entspricht: „Mit Holz zu arbeiten, ist für mich insofern am besten, weil es mir vom Material her den von mir benötigten Widerstand entgegensetzt.“ Die Ambivalenz von Nähe bei gleichzeitiger Ferne, von Transzendenz bei gleichzeitiger Präsenz erlangt Balkenhol durch eine Werkstrategie, zu der die konsequente Nutzung des Sockels gehört. Dieser ist ein unmittelbarer Bestandteil seines Werkes, da Figur und Sockel in der Regel aus demselben Holzstamm gefertigt somit untrennbar verbunden sind. Stephan Balkenhols Skulpturen sind zum einen in unserer Realität tief verwurzelt, zum anderen verkörpern sie etwas Unerklärliches, Unbenennbares und Zeitloses. Die dargestellten Figuren scheinen mit uns Menschen unmittelbar verbunden, denn sie geben durch ihre indifferente Mimik zahlreiche Anknüpfungspunkte. Durch das prototypische Äußere der Figuren fühlt sich der Betrachter erinnert, ohne die Erinnerung konkret fassen zu können - ein Schwanken zwischen Vertrautem und Fremdem. Aus der Figuration ergibt sich eine Annäherung der Skulpturen an die menschliche Lebensrealität, jedoch verhindert die ihnen ebenso inhärente Ferne - unterstützt durch die Sichtbarkeit der Werkzeugspuren -, dass der Betrachter Balkenhols Werk als schlichtes Abbild der Wirklichkeit wahrnimmt. (Ausst.-Kat. Winzen, Matthias (Hrsg.): Stephan Balkenhol, Staatliche Kunsthalle Baden- Baden, Köln 2006, S.30 und S.204-216). € 12.000 - 18.000 | $ 13.080 - 19.620 16 | 17 ZEITGENÖSSISCHE KUNST


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