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Katalog 388 | Alte Kunst

Auf die Künstler seiner Zeit hatten sie einen erheblichen Einfluss. Die Identität und das Oeuvre des Hausbuchmeisters gehören zu den größten Mysterien der Kunstgeschichte. Bis heute streiten Experten darüber, welche Werke von seiner Hand stammen, welche in seiner Werkstatt gefertigt wurden und welche im Umkreis dieses größten deutschen Zeichners vor Albrecht Dürer entstanden sind. Anders als dieser hat der Hausbuchmeister seine Werke nicht signiert. Sein Name ist ein Behelf, der auf eines seiner Hauptwerke, das „Mittelalterliche Hausbuch“ zurückgeht. Ein rätselhaftes Buch, das neben präzisen Darstellungen technischer Geräte und allegorischen Sternbildern auch Ratschläge zur Behandlung von Warzen, Verstopfung oder Krebs sowie ein Rezept zur Zubereitung von Quark-Eierpfannkuchen oder eine Umrechnungstabelle für Goldmünzen enthält. Sehenswert ist dieses in seiner Art einzigartige Buch jedoch vor allem wegen seiner wunderbaren Tuschezeichnungen, die von einer umwerfenden Spontanität und Originalität zeugen. Die Handschrift, die seit mehr als 300 Jahren in der Sammlung der Fürsten zu Waldburg Wolfegg auf Schloss Wolfegg bei Ravensburg gehütet wird, entstand vermutlich am Mittelrhein. Ihre Datierung (1480/85) geht auf ein Blatt zurück, auf dem die wundersame Genesung des Herzogs von Lothringen erwähnt wird, und das war 1482. Ob Gaukler oder Galgenvögel, Handwerker, Kriegsgeräte oder pyrotechnische Darstellungen – jedes einzelne der insgesamt 63 Blätter ist ein lebendiges und zugleich äußerst detailreiches Kunstwerk von großer Suggestivkraft und voller Witz. Neben kleinteiligen, farbig lavierten Genreszenen, die Adelige bei der Jagd oder beim Bade zeigen, einem „obszönen Liebesgarten“ oder Turnierdarstellungen gehört die Folge von sieben astrologisch interpretierten Planetenbildern zu den schönsten Arbeiten im „Hausbuch“. Während etwa das Blatt „Saturn und seine Kinder“ den Planeten als alternden Turnierreiter zeigt, der über ein Volk aus kränkelnden, verhärmten Arbeitern und Bösewichtern herrscht, geht es beim adeligen Jupiter ganz vornehm und manierlich zu. Die Kinder des Kriegsgottes Mars dagegen machen sich als gemeine Gewalttäter über wehrlose Opfer her, und beim königlichen Sol wiederum herrscht eitel Sonnenschein, sprich brave Frömmigkeit mit Beten und Posaunen. Die Blätter unterscheiden sich in der Souveränität ihrer Darstellung erheblich, so dass bis heute darüber gestritten wird, ob sie die Entwicklung des technischen Könnens des Hausbuchmeisters widerspiegeln oder doch von verschiedenen Künstlern angefertigt wurden. Dass das „Hausbuch“ seinem Auftraggeber, von dem man bislang nur das Wappen – goldener Ast auf blauem Grund – kennt, nicht nur als ergötzliches Sammelsurium diente, sondern vor allem von praktischem Nutzen war, zeigen neben den bereits erwähnten Rezepten vor allem die zahlreichen Darstellungen modernster Techniken. Besonderes Augenmerk gilt dabei dem Bergbau, zu sehen sind aber auch ein Spinnrad, eine Schleudermaschine oder ein Rohrtransportwagen, die so akkurat wiedergegeben sind, dass man sie ohne weiteres nachbauen könnte. Nicht wenige Kunsthistoriker glauben, dass der, den wir für den Hausbuchmeister halten, allenfalls die sieben Planetenbilder geschaffen hat. Andere vermuten gar, es seien bloß drei gewesen. Die Zweifel in der Zuschreibung haben dem Künstler einen zweiten Namen eingetragen. Man nennt ihn auch Meister des Amsterdamer Kabinetts, da er als Schöpfer einer Reihe von Kaltnadelstichen gilt, die sich größtenteils im Kupferstichkabinett des Amsterdamer Rijksmuseum befinden und neben einer außerordentlichen Qualität auch eine bemerkenswerte Technik demonstrieren. Die Technik der Kaltnadel, bei der unmittelbar in das Metall der Druckplatte geritzt wird, wurde von den Zeitgenossen des Meisters nicht angewendet, denn sie erlaubt nur wenige gute Drucke, weshalb diese Arbeiten nur in sehr wenigen Abzügen existiert haben dürften. Sie waren also wohl für ein elitäres, adeliges Publikum gedacht – eine Schlussfolgerung, die sich auch durch die abgebildeten Szenen aufdrängt. Neben religiösen Motiven ist eine hohe Zahl von profanen Darstellungen erhalten. Sie zeigen unter anderem Liebesgärten und Jagdausritte, in denen höfisch-ritterliche Minne- und Tugendideale beschworen werden, die zu jener Zeit bereits als ein wenig antiquiert galten. Hinzu kommen satirische Blätter, in denen die Bauern verhöhnt und der Gefräßigkeit, Dummheit und Triebhaftigkeit bezichtigt werden. Folgt man der Mehrzahl der Forscher, dann war der Hausbuchmeister auch ein herausragender Maler. Welche Gemälde er aber tatsächlich geschaffen hat, darüber wird bis heute leidenschaftlich gestritten. Einige Experten glauben dass „Das Gothaer Liebespaar“ (1480/85), das im Herzoglichen Museum Gotha ausgestellt ist, aus seiner Hand stammt, denn es zeugt von einer Sensibilität und Originalität wie sie in dieser Qualität damals nur sehr selten anzutreffen war. Wen das Bild zeigt und wer es gemalt hat, ist jedoch nach wie vor umstritten. War es Graf Philipp d. J. von Hanau-Münzenberg mit seiner Geliebten, einer Bürgerlichen, und damit „ein einzigartiges geschichtliches Bilddokument eines spätmittelalterlichen Konkubinats“, wie im Katalogeintrag behauptet wird? Oder handelt es sich schlicht um ein namenloses Paar? Auch die Theorie, der Hausbuchmeister sei jener Künstler, der den Speyrer Passionsaltar geschaffen hat, erscheint diversen Experten plausibel. Wobei nicht einmal als gesichert gilt, dass es den Altar in der Zusammenstellung, die man vermutet, tatsächlich gegeben hat. Vielleicht gehörten die einzelnen Tafeln auch zu verschiedenen Altären. Eine Reihe weiterer Bildtafeln steht im Verdacht von der Hand des Hausbuchmeisters zu stammen. Dass die Zuordnung bis heute nicht zweifelsfrei gelungen ist, zeigt, wie stilbildend seine Bilder zu seiner Zeit und in seinem Umkreis gewirkt haben. An Mittelrhein und Main haben sich zahlreiche Werke erhalten, die zwar nicht von seiner Hand stammen, aber diverse stilistischen Elemente und Ideen des Vorbilds aufgreifen. Der jüngste Beitrag zur Forschung lokalisiert den Hausbuchmeister in Frankfurt am Main. Die Kunsthistorikerin Michaela Schedl hat Indizien zusammengetragen, die nahelegen, dass es sich um den Maler Conrad II. Fyoll handelt – eine Theorie, die sicher noch kontrovers diskutiert werden wird. Auch nach mehr als hundert Jahren Forschung ist das Rätsel um den Hausbuchmeister und sein Oeuvre noch lange nicht gelöst. Es bleibt ein spannendes Feld für Untersuchungen und Vergleiche. (Dr. Sandra Danicke) LITERATURAUSWAHL ZUM HAUSBUCHMEISTER: Schedl, Michaela: Tafelmalerei der Spätgotik am südlichen Mittelrhein, Mainz 2016, S. 157-372. Graf zu Waldburg Wolfegg, Christoph: Venus und Mars – Das Mittelalterliche Hausbuch aus der Sammlung der Fürsten zu Waldburg Wolfegg, München 1997 Hess, Daniel: Meister um das „mittelalterliche Hausbuch“, Mainz 1994


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