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Katalog 388 | Alte Kunst

in Norden den Strohdächern und verfallenen Schlössern etwas abzugewinnen sucht, wie man sich an Bach und Busch und zerbröckeltem Gestein herumdrückt, um eine mahlerische Wirkung zu erhaschen, und ich komme mir ganz wunderbar vor, um so mehr als jene Dinge nach so langer Gewohnheit einem immer noch ankleben«.iv Praktisch erprobte er die Umsetzung seiner gewandelten Sehweise 1786 zunächst in der Landschaft mit dem Kahn, nach Rembrandtv Abb. von Corpus II, 46: Die kontraststarke Lichtführung in Rembrandts Radierung Het schuyte op de voorgrundt wurde in der bildmäßig ausgeführten Federzeichnung zwischen den dunklen und helleren Zonen durch Lavierung in fließende Übergänge abgemildert und Rembrandts Landschaftshintergrund durch eine in die Tiefe hinein gestaffelte, südliche Landschaft ersetzt. So glückte Goethe »eine eigenständige Leistung, die Norden und Süden ineinander aufgehen lässt.«vi Stolz auf seine Fortschritte im Zeichnen und sehr darauf bedacht die neuen Seherfahrungen im Bild zu fixieren, konzipierte er im Februar 1787, gewissermaßen als Bildbericht für die in Deutschland zurückgebliebenen Freunde, eine Serie von farbigen Landschaften. Über dieses wichtige Zeichnungsprojekt unterrichtete er neben Charlotte von Steinvii auch Johann Gottfried Herderviii und Carl Ludwig von Knebel, an ihn schrieb er am 19. Februar 1787: »Diese letzte Zeit in Rom geht es ein wenig bunt über einander, in meinem Kopfe um so mehr als der ZeichenGeist in mich gefahren und ich seit Tagen beständig gekritzelt und gesudelt habe. Ich schicke 10 Stückgen manigfaltiger Gegenden, die vielleicht nicht 3000 Schritte auseinander liegen. Ich hatte ihrer noch viel gezeichnet um die Abänderung der Gegenstände recht fühlbar zu machen, sie wurden aber nicht fertig.« GB 7I, S. 129 f. Die am 21. Februar an die Freunde abgeschickte Sendungix enthielt zehn Aquarellex mit bewusst, meist im Park der Villa Borghese, ausgewählten Motiven Abb. C II, 55 und 57. Mit diesen kleinformatigen Zeichnungen – zu ihnen gehört auch die Tiberlandschaft – erprobte Goethe seine »neue Manier«. Und inspiriert vom Licht des römischen Frühlings, hatte er »Lust mit Farben zu spielen«. Die »bunten Dinge«, wie er die Serie auch nannte, sind homogen und differenziert aquarelliert mit der Tendenz zu einem kühlen Blaugrau, wodurch das Kolorit der Tiberlandschaft etwas verhalten wirkt.xi Mit der eigenhändigen Bezeichnung An der Tiber über Rom gegen Villa Madama über auf dem Verso hat Goethe sie exakt lokalisiert. Im Stil der klassischen römischen Ideallandschaften nach den Regeln der Harmonielehre komponiert, werden der Tiber und die ihn flankierenden Wege in die Raumtiefe der transparent wirkenden Hügellandschaft hineingeführt. Mit seiner Tiberlandschaft ist es Goethe gelungen den Eindruck einer in sich ruhenden Welt zu vermitteln. Margarete Oppel, Weimar Siglen Corpus Corpus der Goethezeichnungen. Bearb. von Gerhard Femmel. Leipzig 1958 ff. Bd. II: Italienische Reise 1786–1788. Die Landschaften. 1960. Bd. VIB: Zeichnungen außerhalb der Goethe-Institute der Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar. Nachträge, Berichtigungen, Abschreibungen. Gesamtkonkordanz. 1978. GB Johann Wolfgang Goethe. Briefe. Historisch kritische Ausgabe hrsg. im Auftrag der Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv hrsg. von Georg Kurscheid, Norbert Oellers und Elke Richter, Berlin 2008 ff. Bd. 7I: 18. September 1786 – 10. Juni 1788. Texte. Hrsg. von Volker Giel. WA Goethes Werke. Hrsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen. Weimarer Ausgabe. Abt. I–IV. 133 in 143 Bdn. Weimar 1887–1919. Seite 1 Seite 1 Corpus II, 46 Corpus II, 55 Gemälde 19. Jahrhundert Johann Wolfgang von Goethe


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