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Katalog 382 | Zeitgenössische Kunst

In seiner Rezension des Taschenkalenders auf das Jahr 1795 für Natur- und Gartenfreunde, publiziert in der Allgemeinen Literatur-Zeitung vom 11. Oktober 1794, hatte Friedrich Schiller geschrieben: „Da es so schwer hält, der ästhetischen Gartenkunst ihren Platz unter den schönen Künsten anzuweisen, so könnte man leicht auf die Vermutung geraten, daß sie hier gar nicht unterzubringen sei.“ Bezeichnend für den mit diesen Worten charakterisierten prekären Status der Gartenkunst ist, dass sie schließlich gerade dort in den Verdacht der Kunstlosigkeit geriet, wo von ihren Vertretern doch offensichtlich größter Wert auf >Kunsthaftigkeit< (oder doch nur auf Künstlichkeit?) gelegt wurde: in der sogenannten ars topiaria, dem Formschnitt. (2) Schon in der römischen Antike nachgewiesen, hatte die ars topiaria ihre phantastischsten Blüten in den italienischen und französischen Gärten der Renaissance und des Manierismus getrieben. Der Mode, Taxus (Eibe), Buxus (Buchs) und Juniperus (Wacholder) nicht nur zu Quadern, Kugeln und Kegeln, nicht nur zu Säulen, Pyramiden und Vasen, sondern auch zu Kranichen, Hähnen und Pfauen, zu Elefanten, Wildschweinen und Widdern, ja zu ganzen Armeen mit Pferden und Fußvolk zurechtzuschneiden, hielt indes schon 1625 Francis Bacon in seinem Essay On Gardens entgegen: „Wherein I, for my part, do not like images cut out in juniper or other garden stuff; they be for children.“ (3) Ein Jahrhundert später fand Alexander Pope, dass nur das gemeine Volk – „people of the common level of understandig“ – noch Gefallen finden könne an solchen „monstrous attempts beyond the reach of the art itself“. (4) Dieser negativen Wertung liegt letztlich die auf die Aristotelische Rhetorik zurückgehende Vorstellung zugrunde, dass die wahre Kunst gerade darin bestehe, „die Kunst zu verbergen“: ars est celare artem. (5) Mit solcher Raffinesse einer scheinbar „kunstlosen Kunst“ hat der von seinem topiary work sich ausruhende und mit dem Resultat offenkundig zufriedene Gärtner Sigmar Polkes sichtlich nichts am Hut. Vielmehr erweist er sich, wenn selbst der Sessel, in dem er liegt, ein Werk dieser seiner Kunst ist, als Kenner des französischen Gartentheoretikers Olivier de Serres, der in seinem 1600 erschienenen Traktat Le Théatre d‘Agriculture et Mesnage des Champs von „mehreren schönen französischen Gärten“ berichtet, in denen er, neben dem üblichen, zu allerlei Geflügel und anderem Getier zugerichteten Gehölz, auch aus Buschwerk geformte Sitze und Bänke gesehen habe. (6) Auf die Tatsache aber, dass des Gärtners Selbstzufriedenheit nicht überall auf Gegenliebe stoßen könnte, verweist der Titel des Bildes. Denn dieser rekurriert offensichtlich auf Reinhard Meys Lied Der Mörder ist immer der Gärtner von 1971, (7) das handelt von der Vorhersehbarkeit der Täterschaft in beliebten, vor allem englischen Kriminalromanen (Agatha Christie, Edgar Wallace). Ebenso notorisch wie dort dem Leser der mordende Gärtner erscheinen hier dem aufgeklärten >wahren< Kunstkenner die „Kindereien“ (Francis Bacon) und der „irregeleitete Geschmack“ (Friedrich Schiller) des Gärtners, der mündet in dem mit der Heckenschere begangenen Frevel an der im Namen der >Kunst< zu- und hingerichteten Natur: „Es war – natürlich! – der Gärtner“. Der >wahre Polke-Kenner< wird es allerdings doch eher, wie wohl auch der Künstler selbst, mit dem Gärtner halten. Als Malgrund für sein 1977 datiertes Bild hat Sigmar Polke einen bedruckten Deko-Stoff gewählt, in dem – mit Girlanden aus Blättern und Blüten – das Motiv des Gartens schon vorgebildet ist. Bald schwingt dieses Laub- und Rankenwerk aus in nackte, elegant schwebende Frauenkörper, bald rahmt es stehende, eine Vase schulternde, der Quelle von Jean-Auguste-Dominique Ingres nachempfundene weibliche Gestalten. Aus einer dieser Vasen, deren Trägerin oben in der Bildmitte plaziert ist, ergießt sich, zentrale Teile der Bildfläche überflutend, ein erst blauer, dann roter und schließlich ins Violett sich vermischender Farbfluss. In ihm haften hier und dort einzelne echte Buchenblätter - Relikte gleichsam der vom Gärtner betriebenen „Baumverstutzerei“ (8). Darübergelegt ist eine silberne Spirale; und als letzte Schicht in linearer Zeichnung der Gärtner und, in pointillistischer Manier, sein topiary work. Während langer Zeit waren die 1970er Jahre im Werk von Sigmar Polke sträflich unterbelichtet geblieben. Die erste große Polke-Retrospektive © Chris Madden. Gardener creating a topiary chair. 202 | 203 ZEITGENÖSSISCHE KUNST


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