Page 6

Katalog 394 | Netsuke

Vorwort Als ich 1964 meine Lehre im Kunsthaus Lempertz in Köln begann, hatte ich keinerlei Vorstellung, was man hier in Europa unter asiatischer Kunst verstand, und dass es Kunstwerke aus asiatischen Ländern gab, die in Deutschland und Europa einen festen Kreis interessierter Sammler hatten. Bei der 1. Auktion, an der ich teilnahm, die am 30. Mai1963 stattfand, wurde ich Zeugin eines spannenden Preis-Duells im Beisein eines japanischen Reporters von der „Deutschen Welle“, der mit Aufnahme-Gerät auf dem Schoß im Auktionssaal saß und die unglaubliche Steigerung eines sog. ‚Obi Hasami-Netsuke’ aus Hirschhorn, Kat. Nr. 474 von einem Schätzpreis von 200 DM auf den unerhörten Zuschlag von 4.800 DM miterlebte, der natürlich zunächst durch die deutsche Presse ging, zumal der Käufer unser damaliger Bundestags-Präsident Carlo Schmid war. Ich denke, auch er war wohl verwundert, wenn nicht gar erschrocken, dass sein unlimitiertes Gebot eine solche Steigerung erfuhr. Er kaufte das Netsuke nämlich für seinen Freund Christian Trumpf und so befindet es sich heute im Rahmen dieser wichtigen Sammlung ‚Netsuke’ in öffentlichem Besitz im Stuttgarter Linden-Museum, wenn auch bedauerlicherweise dort nicht angemessen präsentiert. Was ich damals nicht wusste und erst bei meiner ersten Japan- Reise 1972 erfuhr, dass der Mitarbeiter der Deutschen Welle dieses Ergebnis nach Japan gesendet hatte, wo es am nächsten Morgen in den Nachrichten des japanischen Rundfunks berichtet wurde, dass nämlich ein Netsuke in Köln für die unglaubliche Summe von mehr als 1000 $ verkauft worden war. Bei der erwähnten Reise nach Japan im besuchte ich Frühjahr 1972 in Tôkyô die beiden englischsprechenden Netsuke-Händler Ito und Ouchi. Als ich beim Vorstellen sagte, dass ich aus Köln käme, rief der temperamentvolle Herr Ouchi ‚aus Kerun’, so sprechen nämlich Japaner den Namen meiner Vaterstadt aus. Daraufhin erzählte er mir -sichtlich erfreut und nicht wenig boshaft -die unrühmliche Reaktion von Raymond Bushell, des uns allen wohlbekannten Autors zahlreicher Bücher zu diesem Thema. Dieser besuchte damals wöchentlich die einheimischen Netsuke-Händler und verließ die besagte Galerie ziemlich indigniert, sogar ein wenig wütend, als Herr Ouchi ihn bei dem einen oder anderen Netsuke fragte, ob er wohl dafür 1000 $ bezahlen würde, was dieser verneinte. Daraufhin drohte Ouchi, seine guten Stücke in Zukunft zur Auktion nach Köln schicken zu wollen. Dies geschah leider nicht, allerdings schickte uns der nach Japan emigrierte Sammy Yukan Lee regelmäßig Holzkistchen voller Netsuke mit unverständlichen Etiketten. Die Zusammenarbeit zwischen dem chinesischen Emigranten und seinem japanischen Personal, das sicher schweren Herzens diese Dinge verpackte, um sie ins Ausland zu schicken, war nicht ganz einfach, wie ich später bei Besuchen beobachten konnte. Diese Erfahrungen hatten meine Neugierde geweckt, die schnell gestillt werden konnte durch unseren holländischen Experten für Japan, Herrn J. van Daalen, mit dem mich von da ab eine enge Zusammenarbeit über mehr als 10 Jahre verband und dem ich viele Kenntnisse auf diesem besonderen Feld verdanke. In den 70iger Jahren fanden die Auktionen mit derlei ‚kleinen’ Objekten an hufeisenförmig aufgestellten Tischen statt, an denen die Sammler saßen, die sich meistens gut kannten oder sogar befreundet waren. Zunächst inspizierte jeder die Stücke seiner Wahl, die von Hand zu Hand wanderten dann wurde je nach „Gusto“ und Geldbeutel darauf geboten, gegeneinander, manchmal aufeinander Rücksicht nehmend oder das Interesse durch Stellvertreter, die die Gebote ausführten, auch vertuscht. Meine Aufgabe war es, als Art Nummern-Fräulein die Netsuke an den Tischen entlang zu zeigen, wobei ich die oft freundschaftlichen Verhältnisse unter den Sammlern gut beobachten konnte. Ähnlich ging es zu bei Sotheby’s in London, wo man auch an Tischen saß und die Stücke im Vorbeigehen angesehen werden konnten. Dort traf ich bei meinem 1. Besuch den großen Sammler Edward Wrangham wieder, den ich Jahre zuvor am Morgen eines Auktionstages vor dem Eingang des Hauses Lempertz antraf. Die anstrengende Reise war ihm deutlich anzusehen: unrasiert und zu meiner großen Verblüffung mit Klammen am Saum seiner Hosenbeine, was mich vermuten ließ, dass er mit dem Fahrrad von zu Hause zum Flughafen geradelt sei. Dass dem nicht so sei, erfuhr ich recht bald und obendrein, dass der sammelwütige Herr von London nach Hamburg fliegen musste, da es noch keine Direktflüge nach Köln gab und er dann per Nachtzug an den Rhein gereist war. Das führte dazu, dass er während der Auktionen einschlief, aber immer –


Katalog 394 | Netsuke
To see the actual publication please follow the link above