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Katalog 379 | Alte Kunst

Durch kunstsinnige und einflussreiche Mitbürger gefördert aber auch durch Zufall und Glück begünstigt, erhält der 16-jährige Ivan Ajvasovskij ein Stipendium an der kaiserlichen Akademie in St. Petersburg. Intrigen, die gegen ihn gerichtet sind, kann der junge Künstler – wiederum durch einflussreiche Fürsprecher, die den Zaren selbst einschalten – überstehen. Nikolaus I. bestellt Ajvasovskij zu sich, kauft eines seiner Gemälde und befiehlt ihm, seinen Sohn 1836 zu Marine-Manövern vor der finnischen Küste zu begleiten. Hier beginnt für Ajvasovskij die intensive Auseinandersetzung mit der Darstellung des Wassers in allen seinen Formen und Farben, mit der Lichtreflexion auf dem Wasser und mit der malerischen Wiedergabe von Luft, Licht und Wolken. Diese Themenfelder, wird er sein ganzes Leben lang bearbeiten und variieren. Ein Auslandsstipendium führt den jungen Maler ab 1840 durch die Länder Süd- und Mitteleuropas. Er studiert die führenden Sammlungen, zeichnet und malt die Landschaften und Orte und macht sich mit Künstlerkollegen bekannt. So reist er zeitweise gemeinsam mit dem Schriftsteller Nikolai Gogol und hat wohl auch Kontakt zu William Turner. Die Ausstellungen seiner eigenen Werke u.a. in Paris, London und Amsterdam werden enthusiastisch gefeiert, und er verkauft das Gemälde „Chaos“ an Papst Gregor XVI. Nachrichten über seine Erfolge gelangen bis nach Russland und auch an den Zarenhof. Als Held kehrt Ajvasovskij nach St. Petersburg zurück, der Zar ernennt ihn zum „offiziellen Maler des Hauptmarine-Stabes“, ein Amt, das eigens für ihn geschaffen wird. 1846 reist Ajvasovskij erstmals – wiederum im Gefolge des Zarensohnes Konstantin Nikolajewitsch – nach Kleinasien und ist so hingerissen von Konstantinopel, dass er diese Stadt zu seinen liebsten Motiven hinzufügt. Im Alter von 30 Jahren ist Ajvasovskij so berühmt und wohlhabend, dass er sich ganz in seiner Heimatstadt Feodossja niederlässt, jedoch regelmäßig nach St. Petersburg reist und die Kontakte bei Hof und an der Akademie pflegt. Er macht Ausstellungen oder verkauft seine Bilder häufig für karitative Zwecke und fördert seine Heimatstadt in kulturellen und sozialen Belangen. Immer wieder macht Ajvasovskij Reisen, 1892 bis in die USA, von denen er unzählige Skizzen mitbringt. Seine Gemälde jedoch komponierte er schon seit den 40er Jahren im Atelier nach Skizzen und aus dem Gedächtnis. Zahlreiche Anekdoten belegen seine ungeheure Produktivität und auch „Schnellmalerei“: Ajvasovskijs, schätzte, dass er im Lauf seines Lebens ca. 6.000 Bilder gemalt habe, von kleinen Formaten bis zu gigantischen Ausmaßen von 300 cm x 500 cm. Die realistische Wiedergabe der Naturphänomene Wasser, Himmel und Licht für die Ajvasovskij so berühmt ist, scheint ein perfektes Produkt seiner Technik und Vorgehensweise: Das Sujet des Bildes ist im Kopf des Malers schon fest komponiert, als Anregung hierfür dienen Skizzen aber vor allem Erinnerungen werden versatzstückartig komponiert. Der Farbauftrag ist extrem dünn, in einem schnellen Malgang wird der Himmel und der Luftraum in einem Zug gemalt. Das eigentliche Thema des Bildes wird detailliert ausgearbeitet, der weitere Umraum, der Rand des Sehfeldes wird weniger fein behandelt. So wird der Betrachter direkt auf das Thema des Bildes gelenkt. Ajvasovskijs virtuoses Kolorit, seine effektvollen, geradezu verblüffenden Variationen des von ihm meisterhaft umgesetzten Themas machen ihn zu einem der angesehensten und bewundertsten Künstler seiner Zeit. Am Ende seines Lebens ist er (Ehren)Mitglied in fünf europäischen Kunstakademien und mit Werken in den bedeutendsten Sammlungen Europas und der USA vertreten. Das in unserer Auktion angebotene Gemälde ist ein ganz typisches Werk Ajvasovskijs, der es zweifach signierte (eine Eigenheit, die bei diesem Künstler häufig vorkommt): Eine Küstenlandschaft an der Krim bei Vollmond. Der Mond und seine Reflexionen auf dem Wasser erleuchten die Szenerie so hell, dass die dargestellten Personen, die sich am Ufer und auf den terassenartigen, begehbaren Dächern der tartarischen Hütten aufhalten, keine weiteren Lichtquellen benötigen. Nur an zwei Stellen glimmt der Schein von Lichtern in den Hütten als kleine rote Lichtpunkte. Ein Effekt, der die wiedererkennbare Handschrift Ajvasovskijs trägt. Das natürliche Licht bescheint auch die Berge, die die Bucht am linken Bildrand säumen und die eine große Wolke am Himmel. Diese wirkt von unten angeleuchtet weiß, je weiter sie der Lichtquelle abgewandt ist changiert sie ins Graue. Zypressen und ein Turm geben der Komposition in der linken Bildhälfte eine vertikale Betonung während sich zum rechten Bildrand hin das Meer, begrenzt durch den Horizont und die diagonale Uferlinie öffnet. Das Vollmondlicht, das die Szenerie in eine zwielichtartige Atmosphäre taucht wurde von Ajvasovskij immer wieder thematisiert. Es ist, als seien die Landschaft, die Menschen, selbst die Schiffe zur Ruhe gekommen, nach einem heißen Tag und schöpften nun neue Kraft. ABJ


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