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Sigmar Polke - Es war der Gärtner

1941 Oels/Niederschlesien - 2010 Köln

Moderne Kunst | Zeitgenössische Kunst
am 30.11.2016, Los 264
Taxe: € 300.000
Ergebnis: € 399.900
(inkl. Aufgeld)

Polke, Sigmar
1941 Oels/Niederschlesien - 2010 Köln

Es war der Gärtner. 1977. Mischtechnik auf bedrucktem Stoff. 90 x 70cm. Signiert und datiert verso: S. Polke 77. Rahmen.

Eine schriftliche Bestätigung vom 21. Oktober 2016 über die Aufnahme dieses Werkes in das beim Estate geführte Werkverzeichnis liegt im Original vor. Das Werk ist dort unter der Vorgangsnummer 16/00114 verzeichnet.

Dem Werk liegt die Einladung zu der Ausstellung "Sigmar Polke" in der Galerie Klein in Bonn bei (WVZ. Becker/von der Osten, WVZ.-Nr. 54).

Provenienz:
Galerie Eberhard Klein, Bonn
Privatsammlung Hessen

Ausstellungen:
Galerie Eberhard Klein, Bonn 1979 (dort erworben)

In seiner Rezension des Taschenkalenders auf das Jahr 1795 für Natur- und Gartenfreunde, publiziert in der Allgemeinen Literatur-Zeitung vom 11. Oktober 1794, hatte Friedrich Schiller geschrieben: "Da es so schwer hält, der ästhetischen Gartenkunst ihren Platz unter den schönen Künsten anzuweisen, so könnte man leicht auf die Vermutung geraten, daß sie hier gar nicht unterzubringen sei." (1)

Bezeichnend für den mit diesen Worten charakterisierten prekären Status der Gartenkunst ist, dass sie schließlich gerade dort in den Verdacht der Kunstlosigkeit geriet, wo von ihren Vertretern doch offensichtlich größter Wert auf >Kunsthaftigkeit< (oder doch nur auf Künstlichkeit?) gelegt wurde: in der sogenannten ars topiaria, dem Formschnitt.

(2) Schon in der römischen Antike nachgewiesen, hatte die ars topiaria ihre phantastischsten Blüten in den italienischen und französischen Gärten der Renaissance und des Manierismus getrieben. Der Mode, Taxus (Eibe), Buxus (Buchs) und Juniperus (Wacholder) nicht nur zu Quadern, Kugeln und Kegeln, nicht nur zu Säulen, Pyramiden und Vasen, sondern auch zu Kranichen, Hähnen und Pfauen, zu Elefanten, Wildschweinen und Widdern, ja zu ganzen Armeen mit Pferden und Fußvolk zurechtzuschneiden, hielt indes schon 1625 Francis Bacon in seinem Essay On Gardens entgegen: "Wherein I, for my part, do not like images cut out in juniper or other garden stuff; they be for children." (3) Ein Jahrhundert später fand Alexander Pope, dass nur das gemeine Volk - "people of the common level of understandig" - noch Gefallen finden könne an solchen "monstrous attempts beyond the reach of the art itself". (4) Dieser negativen Wertung liegt letztlich die auf die Aristotelische Rhetorik zurückgehende Vorstellung zugrunde, dass die wahre Kunst gerade darin bestehe, "die Kunst zu verbergen": ars est celare artem. (5)

Mit solcher Raffinesse einer scheinbar "kunstlosen Kunst" hat der von seinem topiary work sich ausruhende und mit dem Resultat offenkundig zufriedene Gärtner Sigmar Polkes sichtlich nichts am Hut. Vielmehr erweist er sich, wenn selbst der Sessel, in dem er liegt, ein Werk dieser seiner Kunst ist, als Kenner des französischen Gartentheoretikers Olivier de Serres, der in seinem 1600 erschienenen Traktat Le Théatre d'Agriculture et Mesnage des Champs von "mehreren schönen französischen Gärten" berichtet, in denen er, neben dem üblichen, zu allerlei Geflügel und anderem Getier zugerichteten Gehölz, auch aus Buschwerk geformte Sitze und Bänke gesehen habe. (6) Auf die Tatsache aber, dass des Gärtners Selbstzufriedenheit nicht überall auf Gegenliebe stoßen könnte, verweist der Titel des Bildes. Denn dieser rekurriert offensichtlich auf Reinhard Meys Lied Der Mörder ist immer der Gärtner von 1971, (7) das handelt von der Vorhersehbarkeit der Täterschaft in beliebten, vor allem englischen Kriminalromanen (Agatha Christie, Edgar Wallace). Ebenso notorisch wie dort dem Leser der mordende Gärtner erscheinen hier dem aufgeklärten >wahren< Kunstkenner die "Kindereien" (Francis Bacon) und der "irregeleitete Geschmack" (Friedrich Schiller) des Gärtners, der mündet in dem mit der Heckenschere begangenen Frevel an der im Namen der >Kunst< zu- und hingerichteten Natur: "Es war - natürlich! - der Gärtner". Der >wahre Polke-Kenner< wird es allerdings doch eher, wie wohl auch der Künstler selbst, mit dem Gärtner halten.

Als Malgrund für sein 1977 datiertes Bild hat Sigmar Polke einen bedruckten Deko-Stoff gewählt, in dem - mit Girlanden aus Blättern und Blüten - das Motiv des Gartens schon vorgebildet ist. Bald schwingt dieses Laub- und Rankenwerk aus in nackte, elegant schwebende Frauenkörper, bald rahmt es stehende, eine Vase schulternde, der Quelle von Jean-Auguste-Dominique Ingres nachempfundene weibliche Gestalten. Aus einer dieser Vasen, deren Trägerin oben in der Bildmitte plaziert ist, ergießt sich, zentrale Teile der Bildfläche überflutend, ein erst blauer, dann roter und schließlich ins Violett sich vermischender Farbfluss. In ihm haften hier und dort einzelne echte Buchenblätter - Relikte gleichsam der vom Gärtner betriebenen "Baumverstutzerei" (8). Darübergelegt ist eine silberne Spirale; und als letzte Schicht in linearer Zeichnung der Gärtner und, in pointillistischer Manier, sein topiary work.

Während langer Zeit waren die 1970er Jahre im Werk von Sigmar Polke sträflich unterbelichtet geblieben. Die erste große Polke-Retrospektive von 1976 (9) hatte ihr Kurator Benjamin Buchloh 1971 enden lassen, weil für ihn die Zeichnungen Die Fahrt auf der Unendlichkeitsacht von 1969-1971, die 1971 bei Konrad Fischer in Düsseldorf gezeigt worden waren, "das Ende Polkes als Künstler" bedeutet hatten. (10) In der Folge hatte sich die Einschätzung verfestigt, dass Polke in den siebziger Jahren, seit seiner Niederlassung 1972 auf dem Gaspelshof in Willich, auf halbem Weg zwischen Düsseldorf und Viersen, "im Orbit verschwunden" sei, "verloren gegangen auf zu vielen Reisen, als Klischee-Hippie auf einem Drogentrip hängengeblieben - interessant werde es erst, als er um 1980 in der Rolle des malenden Alchemisten und humanistisch geläuterten Gelehrten wieder auf[getaucht]" sei. (11)

Die entscheidende Korrektur dieses Defizits in der Rezeption des Künstlers erfolgte mit der Publikation Wir Kleinbürger! von 2009. (12) Seitdem ist zwar die These von der "obskuren Lücke" (13) in Polkes Schaffen nicht mehr zu halten. Trotzdem bedeutete die Übersiedlung vom Gaspelshof nach Köln im Jahr 1978 so etwas wie einen Neuanfang Polkes als Maler. An dieser Wendemarke - im Anschluss an den zehnteiligen, 1974-1976 gemalten Zyklus Wir Kleinbürger - Zeitgenossen und Zeitgenossinnen: Unsere Auf- und Abrichtung zum Kleinbürger. Unser schwieriges Sexualleben. Wofür wir schaffen, wovon wir träumen. Wenn es uns auf die Barrikaden treibt. Wie wir uns durchschlagen. Wie wir abhauen - entstand das Bild Es war der Gärtner.

Als Vorlage für die Zeichnung des Gärtners, der sich einen Busch als bequemen Fauteuil zurechtgestutzt hat, diente wohl ein - bislang nicht identifizierter - Cartoon; dass dieses Motiv zu den gängigen Themen bei Karikaturen zur ars topiaria gehört, kann durch andere Beispiele belegt werden; dass aber die "Idylle im Stil biederster Gartenlaubenromantik" durchaus auch ein Aspekt des Landkommunelebens auf dem Gaspelshof war, belegt ein Foto Sigmar Polkes aus dem Jahr 1976. (14) Die Farbschüttung, die in Polkes Schaffen ab den 1980er Jahren eine so große Rolle spielen wird, setzt er hier, vielleicht zum ersten Mal überhaupt, ein als ein künstlerisches Mittel eigenen Rechts - nicht mehr nur, wie im Fall des lila Kleckses in dem längst als Schlüsselwerk nicht nur im Werk von Sigmar Polke erkannten Bild Moderne Kunst von 1968, als bloßes "Zitat oder gar Verballhornung moderner Malpraktiken" (15). Mit der bildbeherrschenden Spirale aber greift er zurück auf die ebenfalls 1968 entstandene programmatische Zeichnung Erweiterung des Planetensystems um einen 10. Planeten - ein Blatt, das "nicht nur [einen] >Tatbestand< [...] markiert" - eben die Existenz eines zehnten Planeten -, sondern das "auch dessen Herleitung zu erkennen [gibt]. Irgendwo im leeren Raum, so ist zu sehen, ist der unbekannte Planet in Erscheinung getreten, hat sich spiralförmig dem Sonnensystem genähert, jeden seiner Planeten umkreist, um schließlich - nicht ohne ausgreifende Schlenker im All zu vollführen - in eine feste Umlaufbahn einzutreten". (16) Der Name dieses zehnten Planeten ist: "Polke".(1. Schiller, Friedrich: Sämtliche Werke, Band 5: Erzählungen. Theoretische Schriften, München 1993, S. 884-891, S. 1221-1222.; 2. Wimmer, Clemens Alexander: "Ars topiaria. Die Geschichte des geschnittenen Baumes", in: Die Gartenkunst 1, 1989, Heft 1, S. 20-32. - Margherita Azzi Visentini, Topiaria. Architetture e sculture vegetali nel giardino occidentale dall'antichità a oggi, Treviso: Ed. Fondazione Benetton, 2004. - Clemens Alexander Wimmer, Lustwald, Beet und Rosenhügel. Geschichte der Pflanzenverwendung in der Gartenkunst, Weimar 2014.; 3. Zitiert nach: Wimmer 1989, S. 25.; 4. Pope, Alexander, in: The Guardian, 1713; zitiert nach: Hunt, John Dixon/Willis, Peter (Hrsg.): The Genius of the Place. The English Landscape Garden 1620-1820, London 1975, S. 207.; 5. Wimmer 1989, S. 27. Zu diesem Topos siehe: von Rosen, Valeska: "Celare artem. Die Ästhetisierung eines rhetorischen Topos in der Malerei mit sichtbarer Pinselschrift", in: Pfisterer, Ulrich/Seidel, Max (Hrsg.): Visuelle Topoi: Erfindung und tradiertes Wissen in den Künsten der italienischen Renaissance, München/Berlin 2003, S. 323-350, bes. Abschnitt II: "Ars est celare artem" (S. 325-328).; 6. Wimmer 1989, S. 23.; 7. Erschienen auf dem Album Ich bin aus jenem Holze.; 8. "Baumverstutzerei" ist der Titel eines gegen die ars topiara gerichteten Beitrags von Christian Cay Laurenz Hirschfeld, erschienen in dem von ihm herausgegebenen Gartenkalender auf das Jahr 1783, S. 215-217.; 9. Ausst.-Kat. Sigmar Polke: Bilder - Tücher - Objekte. Werkauswahl 1962-1971, Kunsthalle Tübingen, Städtische Kunsthalle Düsseldorf, Stedelijk van Abbe-Museum Eindhoven, 1976.; 10. "Um 1976. Ein Interview mit Benjamin H. D. Buchloh", in: Halbreich, Kathy (Hrsg.): Alibis - Sigmar Polke 1963-2010, München 2015, S. 209. - Die vier großformatigen farbigen Zeichnungen mit den Untertiteln Der Motorradfahrer, Die Motorradbraut, Die Motorradlampe und Die Landschaft sind abgebildet im Katalog Tübingen/Düsseldorf/Eindhoven 1976 (wie Anm. 9), S. 121-123.; 11. Lange-Berndt, Petra/Rübel, Dietmar: "Multiple Maniacs! Fluchtbewegungen bei Sigmar Polke & Co.", in: Lange-Berndt, Petra/Rübel, Dietmar (Hrsg.): Sigmar Polke: Wir Kleinbürger! Zeitgenossen und Zeitgenossinnen. Die 1970er Jahre, Köln 2009, S. 25.; 12. Siehe Anm. 11.; 13. Robert Storr 1992, zit. nach: Wir Kleinbürger! (wie Anm. 11), S. 25.; 14. Glozer, Laszlo: Sigmar Polke. Von Willich aus. Fotografien 1973-78, Köln/New York/London 2015, zit. S. 18, Abb. S. 51.; 15. Curiger, Bice: Sigmar Polke. Alles fließt: Die Photo Copie GmbH, Baden-Baden 2004, S. 44.; 16. Hentschel, Martin: Die Ordnung des Heterogenen. Sigmar Polkes Werk bis 1986, Bonn 1991, S. 290-291.).

Biographie Sigmar Polke
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